„Märchenland im Müll“ handelt von den Erlebnissen der Constanze S. Beinahe ein Jahr hat sich das erste große Hörbuchprojekt von silbenstreif/ periplaneta hingezogen. Auf vier Audio-CDs wird nun die ungekürzte Audioversion von „Märchenland im Müll“ präsentiert. Sie enthält Songs einiger Punkbands (False Friend, The Fine Print, Lefthand Thirdfinger, Punk’d Royal, Rentokill), die durch einen Aufruf zum Mitmachen gewonnen werden konnten. Das Hörbuch wird in diversen Dunkellesungen Verwendung finden, denn Constanze S. ist blind. Und „Märchenland im Müll“ ist auch die Geschichte ihrer schleichenden Erblindung.
Constanze schildert unter anderem ihre Erlebnisse in der Punk- und Drogenszene. Es geht ums nackte Überleben, sei es in Schlägereien, die sich aus Missverständnissen und Getränkeunfällen gnadenlos emporschaukeln oder beim Kampf um den nächsten Schuss. Constanze S. arbeitet zudem ihre schleichende Erblindung auf, die sie auf die Straße trieb, die ihr aber auch zu Erkenntnissen verhalf. So erlebte sie diese Welt hautnah mit all ihren Höhen und Tiefen, ohne unter die Räder zu kommen.
Hier geht es aber nicht nur um Drogen und Exzesse – Constanze erzählt von einem ganz realen Elend, was nicht immer nur etwas mit Drogen zu tun haben muss. Es geht vielmehr um das Trauma, was viele Menschen erfahren. Missbrauch ist ein Beispiel eines der traumatischen Erlebnisse, die viele Menschen ausreissen lässt – und es geht nicht nur um die Unterschicht. Nein, auch ein Teil der Überflussgesellschaft ist betroffen und „Märchenland im Müll“ macht immer wieder klar, wie schnell es gehen kann und dass es jeden treffen kann. Was sofort auffällt ist die realistische und unverblümte Erzählweise, die trotz Deutlichkeit aber so gut es geht ohne Kraftausdrücke auskommt. Und Erzählerin Marion Alexa Müller, die gleichzeitig Inhaberin, Verlags- und Geschätsleiterin von periplaneta ist, bringt dies auch perfekt rüber. Ich gebe zu, anfangs bekam ich ein wenig den Eindruck, als würde sich alles sehr „abgelesen“ anhören, aber nach zwei Minuten ist dieser Eindruck verschwunden und man taucht ein in die Welt der Constanze S., in der man auch bei sich selbst ab und zu erschreckende Parallelen entdeckt.
Die Geschichte regt mächtig zum Nachdenken an und kommt so authentisch rüber, dass man richtig mitfühlen kann. Die verschiedensten Bilder schwirren dem Hörer im Kopf herum und zeigen den Weg des Heroins. Dreck, Schimmel, gebrauchte Spritzen und volle Mülltüten – alles Dinge, die automatisch vor dem geistigen Auge erscheinen. Es folgt ein Denkanstoß nach dem anderen. Es wird ermahnt – aber nie mit erhobenem Zeigefinger, sondern man wird realistisch aufgeklärt. Die traurige Tatsache, dass Constanze es am eigenen Leib erlebt hatte lässt den Hörer erzittern und ab und zu ein Tränchen verdrücken. Das „blinde“ Vertrauen, welches sie anderen Personen gegenüber haben musste lag auch ganz nah an der Grenze zur rohen Gewalt und trotz Brutalität, Hoffnungslosigkeit und Dummheit und trotz den ganzen negativen Umständen gelingt es ihr, dennoch mitfühlend zu bleiben. Ein wirklich hörenswertes Hörbuch, was berührt und aufklärt, wie schnell man abstürzen kann. Die Punkbands, die sich bereiterklärt haben, etwas Songmaterial beizusteuern, sind das gewisse Etwas und tragen viel zum Feeling des ganzen Geschehens bei. 9/10 Punkte.
„Märchenland im Müll“ erscheint in einer großformatigen Hülle, in Buchform, auf insgesamt vier Audio-CDs mit farbigem Cover und mit vierseitigem Booklet, das auch Informationen zu den beteiligten Punkbands enthält. Der Verlag liefert „Märchenland im Müll“ in einer Original 10l Mülltüte aus und legt einen Button hinzu.