Bertram Anton Blumen gewinnt mit „Träume werden wahr“ für Deutschland den Eurovision Song Contest 2016 in Stockholm. So sehe ich das kommen. Jetzt muss nur noch ein verzweifelter ARD-Intendant diesen Text lesen, die CD „The Desired Effect“ von Brandon Flowers eindeutschen, einen willigen Schlagerschluchzer zusammencasten, copyrightmäßig vorsichtshalber ein paar Tonfolgen verändern und schwupp, weint der Russe, staunt der Schwede, gibt uns der Grieche verschämt Punkte und wieder einen Ouzo auf der Aftershow-Dance-Party aus. Denn die Songs haben das Zeug, als Konsens-Pop alle ESC-Freunde, die es ja gerne ein bisschen blumig verschnörkelter haben, zu vereinen.
Ich gestehe: die CD des Monats hätte auch die neue Paradise Lost „The Plague Within“ werden können, aber die alten Mollschrubber konnten sich knapp nicht gegen den fluffig charmanten 80s-Pop des „The Killers“-Frontmanns durchsetzen. Entscheidend war die Performance beim Rasenmähen am vergangenen Wochenende: Während es mit Brandon flott tänzelnd über die Weide ging und ich Halm um Halm mit einem Lächeln wegschnippselte, schleppte ich mich mit den eher so mittelgut gelaunten Briten doch schwer taumelnd von Büschel zu Büschel.
Es ist mir selbst ein Rätsel, aber die Songs auf „The Desired Effect“ gefallen mir einfach. Weil sie lästig in den Synapsen kleben bleiben. „Guilty Pleasure“ nennt das der anglistisch bewanderte Mensch, man fühlt sich ein bisschen schuldig, ein wenig vom Pop betatscht, wo sonst nur der harte Rock angegürtet wird. Echte Kritiker von Rang und Namen brandmarken das Werk natürlich reflexhaft und mit überragend starken Argumenten: die letzte von den Killers war nix, die Songs sind ekelig pompig verkitscht, der Mann ist Mormone und glaubt an Gott. Was mir so ziemlich egal ist. Sollte morgen Tom Araya von Slayer an meiner Haustür den Wachturm verteilen wollen, ich täte Reign in Blood nicht eine verzerrte, abgerissene Gitarrensaite weniger mögen.
„Dreams Come True“ versprüht schlicht so schlimm gute Laune, dass ich es sogar morgens zum Aufstehen hören kann. „I Still Want You“ mit seinen Karibikrhythmen setzt -hach- die Liebe sogar über die Finanzkrise und Weltuntergang. Ein Lied für Wolfgang, Yanis und den Rest der EU-Schulden-Crew – das als Soundtrack für die aktuellen Beratungen und alles wird schön und voller Herzen. „Untangled Love“ hätte Meat Loaf in seiner Jim Steinman-Phase nicht gekonnter eintüten können. „Diggin‘ Up The Heart“ mischt Country mit E.L.O’s „Hold On Tight“ und „Rock’n’Roll Is King“. „Between Me And You“ hätte Bruce Springsteen brüskiert abgelehnt, um seinen Ruf als erdiger Rockerboss nicht zu gefährden, aber der Brandon bringt ihn. „Lonely Town“ schickt mich nach einem Intro mit geächtetem 80s-Keyboard-Gewummere kurzzeitig abgrundtief in die Autotune-Hölle, holt mich dann aber Sekunden später mit banjo-umspieltem Chor-Part und einem herzigen Refrain wieder ab. „I Can Change“ bringt den unverwüstlichen Smalltown Boy von Bronski Beat im Gepäck mit, beim dancefloorigen „Can’t Deny My Love“ zuckt der vom ESC enttäuschte Russen-Oligarch in der Loge auf, wirft bündelweise Rubel um sich und will den Song mit einem tanzenden Barbie-Püppchen oder einem brustgelüfteten Zahnweißmodel produzieren. Und schließlich schlurft „The Way It’s Always Been“ die Show gepflegt nach Hause, Gospelchor inklusive. Schon schön.
Jetzt warte ich auf einen Anruf von der ARD, damit ich nächstes Jahr neben Peter Urban sitzend zünftig an den Kandidaten rummeckern kann.