Ich stehe also wie gewohnt an einem Tisch im Empfangsbereich meines Lieblingsarzneimittel-dealers und brühe mir aus alten Apotheken-Umschauen einen schmackhaften Brennesseltee auf, da stürmt eine ältere Frau in den Laden: „Ach, mir ist gar unwohl. Das Wetter schrecklich, mein Biorhythmus wegen der Zeitumstellung komplett im Eimer, das Leben generell blöd und ausgerechnet jetzt will mein mürrisches Patenkind aus Nordkorea vorbeikommen und bei mir im Garten hinterm Haus Atomraketen testen. Wo es da grad aussieht wie Kraut und Rüben! Was werden die Nachbarn denken?“.
Ich grätsche dazwischen, bevor es zum großzügigen Austausch von Hagedorn- und Johanniskraut-Dragees kommt: „Dem Buben seien ein paar saftige Schellen und Ihnen, werte Dame, die neue Alkaline Trio namens My Shame Is True empfohlen“.
Gäbe es die „Simplify Your Life“-Reihe noch nicht als Buch, Alkaline Trio hätten sie vertont. Simple Songs, simple Riffs, simple Strukturen, aber stets charmant, ins Ohr gehend und mit mehr Weltschmerz als die aktuelle politische Lage herzugeben imstande ist. Eigentlich wollte ich das mittlerweile neunte Studioalbum des Dreiers aus Chicago nicht schon wieder zur CD des Monats küren, weil bereits drei Werke der Band dieses Prädikat führen dürfen. Zu Beginn sah es auch nicht danach aus: die Single „I Wanna Be A Warhol“ rumpelt mir etwas im Reim („Hanging On Yooour Wall“), und geriert sich dazu zu sehr nach Standardkost, das Resident Evil-Püppi Milla Jovovich im Video hin oder her. Bei „Kiss You To Death“ stößt mir das tief ausgeholte „Woah ho ho“ nicht so recht gut auf. Überhaupt dominiert eher der glatte Pop-Punk mit der Ausnahme des frisch unrasierten „I, Pessimist“ featuring Tim McIlrath von Rise Against.
Auf der anderen Seite allerdings gibt es die gewohnten kleinen Meisterwerke der fröhlichen Bedrücktheit wie den Opener „She Lied To The FBI“, dessen Refrain ich mittlerweile so routiniert unkontrolliert im Alltag vor mich hinsinge wie damals ein „The KKK Took My Baby Away“ der Ramones. Oder das schmissige „The Torture Doctor“ mit seinem „Hey! Ho!“, dem eigentlich nur noch ein „Let’s Go!“ fehlt. „Midnight Blue“, „I’m Here To Disappoint“ und „The Temptation Of St. Anthony“ sind konzentriertes Alk3 in seiner typischsten Form: spielfreudig, mitschunkelwürdig, einfach eine angenehm formulierte Einladung zum Lautstärkeaufdrehen im Auto. Für die einsamen Teenagerherzen warten schließlich „One Last Dance“, „Only Love“ und „Until Death Do Us Part“ zum entspannten Trennungs-Aua-Abheulen.
Bleibt noch die Frage, ob sich die Deluxe Edition mit den vier Bonus Tracks aus der „Broken Wing EP“ lohnt. Antwort: klar, alleine schon wegen „Balanced On A Shelf“ und dem Titelsong, die sehr gut auf die Standardversion gepasst hätten.
http://www.youtube.com/watch?v=aLnDmKPxbRg
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