The Ting Tings haben sich in den letzten Jahren auf verschiedensten Wegen einen Namen gemacht – sie spielten auf großen Festivals, ihre Musik lief im Radio, die Singles wurden in verschiedenen Werbespots großer Firmen verwendet. Sie haben sich aber darüber hinaus auch rar gemacht – nach dem Debütalbum „We Started Nothing“ von 2008 folgte erst vor wenigen Wochen endlich eine zweite Scheibe und seit 2009 waren sie nicht mehr in Deutschland auf Tour. Dafür aber, um einige Songs in einem Berliner Studio aufzunehmen, und mit diesen Songs im Gepäck gab es jetzt drei Auftritte hierzulande, einen in Berlin beim Melt! Weekender, einen im Grünspan in Hamburg und einen bei Rock am Ring. Also packte ich meine Sachen, fuhr ein paar Freunde in Hamburg besuchen und suchte das Grünspan auf.
Das Grünspan fasst zwar nur ein paar hundert Leute, dafür bietet es aber eine wunderbare Atmosphäre und einen genialen Sound. Durch den Konzertraum zieht sich seitlich an der Wand eine schick beleuchtete Bar, obendrüber, ebenso liebevoll in Szene gesetzt, findet sich die Garderobe. Der DJ, der vor dem Konzert auflegte, gehört leider nicht zur Location, sondern wurde vom Veranstalter gebucht. Mit wild gemischter und trotzdem perfekt passender Musik von Yeah Yeah Yeahs über Crystal Castles und M83 bis The Hives wurden wir perfekt unterhalten, bis sich um 20:15 mal jemand zum Soundcheck bequemte. Die Verzögerung ist möglicherweise auch auf die Besucherzahl zurück zu führen – zu der Zeit war es nämlich zwar schon eine Viertelstunde nach planmäßigem Beginn, aber immer noch recht leer und die Abendkasse geöffnet.
Irgendwann wurde es dann aber endlich dunkel, ein Intro erklang und Jules kam an seinen Platz. Das Intro wurde von Drums abgelöst und Fans wussten: Es gibt „Great DJ“ direkt als ersten Song. Mit den dadurch ausgelösten Begeisterungsschreien des Publikums kam dann auch Katie auf die Bühne´, haute in die Saiten und spielte das allseits bekannte Riff, das ursprünglich mal aus einem schlecht gespielten Akkord entstand und später zu einem Song wurde – wie einige Titel des ersten Albums. Ganz anders „Hang It Up“, das Flaggschiff des neuen Albums. Auch hier dominiert zunächst das Gitarrenriff, diesmal aber ganz gezielt und mit trockener Drummachine, die dann später von dröhnenden echten Drums abgelöst wird.
Dabei zeigt sich auch direkt die unglaubliche Dynamik der Show. The Ting Tings sind nur zu zweit und von einer Verteilung der Instrumente kann man nicht reden, denn ständig werden Instrumente gewechselt, werden synthethische und „echte“ Komponenten gemischt, werden Loops verwendet und neue Patterns drüber gelegt. Bei keiner Band rennen so oft Roadies über die Bühne, um Gitarren anzunehmen, wieder anzugeben, Keyboards hinzustellen, Fußpedale und Synthis zu tauschen und alles wieder gerade zu richten. Spielte Jules am Anfang noch die zweite Gitarre, musste die später im Lied dem Schlagzeug weichen. Später werden auch Gitarren, Keyboards und Synthesizer gemischt, mal singt Katie, mal Jules, mal beide, und bei „We Walk“ spielt Jules dazu auch noch gleichzeitig Schlagzeug und Gitarre – wozu hat man schließlich zwei Hände und zwei Füße!
Und um nochmal auf die Roadies zurück zu kommen: Nicht nur die Instrumentenwechsel sorgen für viel Bewegung, auch Frontfrau Katie läuft, rennt und springt über die Bühne wie ein Flummi, schmeißt Mikro- und Instrumtenständer um und sorgt überhaupt für ziemlich viel Chaos, ganz zu schweigen davon, dass immer jemand das lange Gitarrenkabel einsammeln muss. Die Technik tut ihr übriges, damit die Bewegung auch optisch zur Geltung kommt. Und als bei einem Lied mal eine dritte Gitarre gebraucht wird, darf der Gitarrenangeber auch mal selber ran.
Während auf der Bühne also von Anfang an wirklich reichlich viel los ist, ist das Publikum nur mäßig begeistert. Die erste Reihe tobt, als Katie sich bei „Hang It Up“ zwischen die Fotografen im Fotograben quetscht um so vielen Fans wie möglich die Hand zu schütteln, aber bewegungsfreudig sind die vielleicht 300 Zuschauer nicht. Als Katie nach „Give It Back“ und „Guggenheim“ meint, jetzt sei aber wirklich genug Zeit zum Ausruhen gewesen und Tanzen angebracht, holen einige ihr Handy raus um zu filmen. Schade, dabei hat sie doch extra eine kleine deutsche Rede geschrieben und auch da nochmal darauf hingewiesen, dass der Spaß das Wichtigste ist: „Meine Deutsch ist scheiße, deshalb halte ich jetzt besser die Klappe und bringe euch zum Tanzen!“
Die Tanzwilligen jedenfalls lassen sich nicht davon abhalten, dass sie in der Unterzahl sind, und feiern mit Katie und Jules zu „Hit Me Down Sonny“, das live um einen Gitarrenpart ergänzt wurde, und „Fruit Machine“. Als danach „Shut Up And Let Me Go“ erklingt, ist dann auch die gesamte Menge begeistert, denn den Song hat wirklich jeder schonmal irgendwo gehört und die „Hey!“-Parts auswendig gelernt. Außerdem haben The Ting Tings ihre riesige Stand-Basedrum wieder dabei, die Katie mit Begeisterung spielt – und hinterher zu Boden wirft und sich draufstellt, darauf inzwischen barfuß tanzt und die Cowbell spielt.
Die meisten Songs machen ja schon vom Album viel Spaß, aber live nochmal deutlich mehr, nicht nur, weil die Band selbst wild feiert, sondern auch, weil viele Songs um zusätzliche Parts ergänzt wurden, zum Beispiel weitere Gitarrenriffs oder „echte“ Varianten von eigentlich synthethischen Patterns. Außerdem ist die Abmischung ganz anders, das Schlagzeug kommt viel wuchtiger rüber und auch wenn Jules bei „We Walk“ gleichzeitig Gitarre und Schlagzeug spielt, sind doch einige Songs in der Instrumentierung reduziert, so dass die vorhandenen Elemente wesentlich kräftiger rauskommen.
„We Walk“ ist dann auch schon der vorletzte Song des regulären Teils, gefolgt von einer acht Minuten langen Version von „Hands“, einem in Berlin entstandenen, stark vom Tekkno beeinflussten Song. Vielleicht der mit den meisten Facetten: Als Single kommt er in einer normalen synthethischen Fassung, in Akustiksessions in einer völlig anderen, melodischen Form und in Hamburg ergänzt um ausschweifende, in Richtung Trance gehende Synthi-Samples in einer doppelt so langen, sich ständig steigernden Fassung, die am Ende, nach zwei Breakdowns, mit einem harten Gitarrenriff und scheppernden Drums vollkommen explodiert. Kein Wunder, dass das Publikum lautstark Zugaben fordert.
Nach einer gefühlt ziemlich langen Pause gab es die dann auch. Zunächst „Keep Your Head“ – in dem immer nur noch „Ten minutes to go“ sind und man einfach die Ruhe bewahren soll, in einer aufgemotzten Liveversion. Und für die weniger eingefleischten Fans danach natürlich noch „That’s Not My Name“ – als letzten Song, aber nicht mit weniger Emotionen, obwohl längst nicht mehr taufrisch.
70 Minuten dauerte das Konzert damit nur, und wenn man sich die beiden Alben anschaut, die beide nur 10 Tracks umfassen, könnte man meinen, dass sich die Band ganz schön viele Freiheiten rausnimmt. Man kann aber auch ihren Worten Glauben schenken, dass sie einfach anspruchsvoll sind. Schließlich hat das aktuelle Album „Sounds From Nowheresville“ deshalb so lange gebraucht, weil die Band einfach mal einen ganzen Haufen Songs verworfen hat, weil sie „nicht funktioniert“ haben. Und so grandios wie das Ergebnis der kritischen Auswahl war auch das Konzert. Wer lange aushält, bekommt also auch ein grandioses Ergebnis – und außerdem lebt eine Band ja im Idealfall nicht für die Fans, sondern mit den Fans.
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