Schon mal eins vorweg: Man wird sehr überrascht sein, wenn man sich diese Scheibe anhört! :)
Das in nunmehr schon sechs Jahren Bandgeschichte vierte Album „Century Child“ von Nightwish erschien am 24. 6. 2002 und stellt gleichzeitig den dramatischen Höhepunkt der finnischen Metal-Barden dar, denn höchstwahrscheinlich wird es auf unbestimmte Zeit erst einmal das letzte Album sein, bei dem Sängerin Tarja Turunen mitwirkt, weil sie sich nun vollständig ihrem klassischen Musikstudium und ihrer Opern-Ausbildung widmen will.
Im Juli 1996 von Tuomas (Keys & Piano), Tarja (Vocals) und Emppu (Guitars) gegründet, entwickelte sich die Band schon früh zu einem bombastischen Erfolgsprojekt. Ihre Mischung aus Power/Melodic-Metal, Klassik und einer grandiosen Opernstimme zog damals schon die Ohren auf sich. Allein ihre allererste Single „The Carpenter“ stieg bis auf Platz 8 der finnischen Single-Charts. Die Alben „Angels Fall First“, „Oceanborn“ und „Wishmaster“ wurden nicht nur zu nationalen, sondern auch zu internationalen Hits – die junge Band um die charismatische Sängerin wurde vom Erfolg beinahe überschüttet. Von riesigen Tourneen über den ganzen Erdball, Titelstorys in namhaften Blättern wie Rock Hard und Metal-Hammer… Die ganze Palette war dabei. Doch was macht den Charme dieser einzigartigen Band aus? Und vor allem: Kann das neue Album dieses schwere Erbe antreten und die Erfolgsgeschichte fortsetzen? Wir wollen den Silberling einmal genauer beleuchten. :)
Schon die Covergestaltung ist typisch für Nightwish: Ein verträumter Wasserfall in einer mystischen Landschaft eingebettet und davor ein eher leichtgekleidetes, hübsches Mädchen mit einer schwarzen Rose in der Hand. Kreiert wurde dieses schöne, vielleicht wieder etwas kitschige Bild von dem namhaften Szene-Künstler Markus Mayer. Was auffallend ist, ist das Motiv des Ozeans, das auch als vorherrschendes Thema (auch in den Texten) bei den Vorgängeralben auftaucht. Auch das Booklet und die ganze CD sind liebevoll gemacht – ein erster äußerlicher Pluspunkt für die Scheibe.
Thematisch zieht sich das Leitmotiv des „Century Child“ wie ein roter Faden durch die ganze CD. Wie Tarja berichtet, drückt Songwriter, Texter und Keyboarder Tuomas Holopainen mit diesen Titeln seine eigene Lebensgeschichte in Worten und Musik aus – es ist also sozusagen eine poetische Form eines realen Lebensweges.
Ich möchte nun auf die 10 einzelnen Songs etwas näher eingehen.
Bless The Child
Fängt klassisch und altbekannt an, steigert sich dann jedoch in eine dynamische, melancholische Nummer der Marke „einfache, fette Riffs, aber gut!“. Ein düsteres Stück, das Tarjas liebstes auf der Scheibe ist, was wohl an dessen Atmosphäre liegt. Auch haben wir bei diesem Titel wieder einen Sprecher, der einen Teil der Handlung erzählt.
End Of All Hope
Klingt am Anfang sehr wie „Wishmaster“, entwickelt sich dann aber zu einer sehr fetten, für Nightwish-Verhältnisse beinahe trockenen Nummer mit wirklich richtig dicken Riffs, bei denen jedes True-Metal-Herz höher schlagen wird. Wirklich ein sehr schönes Stück, bei dem Tarja viel natürlicher singt als sonst. „The rest is silence“…
Dead To The World
Yes, das ist Musik! Fängt bombastisch mit einem mehrstimmigen Gesangs- und Keyboard-Intro an. Und man erwartet schon fast Tarjas Stimme in ungeahnte Höhen vordringen, als die Gitarre schmettert – doch nein, was ist das? Tatsächlich! Basser Marco Hietala singt stattdessen im Wechsel mit seiner Kollegin die Strophe! Eine wirklich sehr interessante Abwechslung. Der gute Mann hat zwar ein etwas gewöhnungsbedürftiges, breitgezogenes Organ, was er aber dann im Refrain richtig gut zum Einsatz bringt und sogar Tarjas Gesang niederschmettert. Die Strophe ist musikalisch einfach gestaltet und definiert sich vornehmlich durch den abwechslungsreichen Gesang. Der Zwischenteil und der Refrain sind hingegen wieder Nightwish-typisch, jedoch nicht so bombastisch, sondern eher gitarrenlastig. Auch Tuomas am Keyboard kommt bei diesem Lied nicht zu kurz. Textlich auch recht schön gelagert – besonders fasziniert mich die Zeile „I studied silence to learn the music“. Fazit: Geiler Song! :)
Ever Dream
Dies ist die schon nach 2 Tagen in Finnland vergoldete Singleauskopplung. Fängt eher gehalten mit Klavierintro an. Es folgt der klassische Streicherpart und dann natürlich der bombastische Einsatz von Gitarren, Keyboard und anderen klassischen Instrumenten. Ähnlich wie bei „Dead To The World“ ist die Strophe wieder einfach gestaltet – jedoch singt im ganzen Titel wieder ausschließlich Tarja (Bis auf einen kleinen Teil am Ende des Refrains…). Gewohnt klassisch, hart und zart zugleich. Hier darf auch die fast ganz durchgezogene Doublebass nicht fehlen.
Slaying The Dreamer
Ungewöhnlich für Nightwish – richtig hartes Gitarren- und Schlagzeug-Intro. Dynamischer Gesang von Tarja, dezentes Keyboard, bis jetzt nicht schlecht. :) Der Zwischenteil klingt sehr interessant und gipfelt dann in den dreiwörtigen Refrain, der sich dann wieder den Riffs des Intros ergibt. Hier wird sogar mit stark verzerrten Gitarren gearbeitet! Untypisch für die Band, aber eine schöne Abwechslung. Im Kontrast dazu steht der trotz der Dynamik zarte Gesang Tarjas. Dann kommt ein richtig geiler von Marco eingesungener Mittelpart, der sehr aggressiv rüberkommt und ein wenig an Megadeth erinnert (gipfelt natürlich wieder in Tarjas elfenhaften Gesang). Einfach ein cooler, verspielter Song der Finnen! Endet mit „I truly hate you all!“…
Forever Yours
Wieder einmal eine obligatorische Ballade zum dahinschmelzen, wie wir sie von Nightwish so gut kennen. Tarjas zarter, ausdrucksstarker und trauriger Gesang mit schlichter, klassischer Begleitung wird sogar dem härtesten Metaler die Tränchen in die Augen treiben. *g* Gut gefällt mir auch die romantische Flöten-Begleitung. Sowas darf wohl auf keinem Nightwish-Album fehlen…
Ocean Soul
Eins der Wörter, das in diesem Album am meisten gesungen wird, findet in diesem Titel perfekten Ausdruck. Spätzünder, da er sehr gedigen anfängt, dann aber zu einem echten Ohrwurm gipfelt. Eins der großen Highlights der CD! Schöne Riffs, zarte Keyboardbegleitung… Das ganze Brett eben. Der Refrain ist eine echte Perle von Melodie und Dramatik. Kein überfrachteter Song, sondern ein richtig schön eindringliches Lied mit Chartkapazität, was jedoch dessen Qualität nicht mindert.
Losing emotion, finding devotion.
Should I dress in white and search the sea,
As I always wished to be –
One with the waves, Ocean Soul.
The only true love I ever knew
Was behind those downcast eyes.
The only comfort I ever felt
Was during those long hours of loneliness
When I felt for you
I do believe
Only Innocence can save the world.
~ Ocean Soul ~
Feel For You
Dieses Stück wartet mit einem krassen Bassintro auf, das uns weiter in die bekannten klassichen Gefilde von Orchester und E-Gitarre führt. Wieder wie in einigen Songs zuvor der schlichte Refrain mit Tarja Turunens zärtlichem Gesang. Dazwischen hört man aber auch wieder die bombastisch aggressive Stimme des Bassers Marco und danach wieder dieses merkwürdig verzerrte Basssolo… Ein sehr gefühlvolles Lied.
The Phantom Of The Opera
Der Klassiker von Andrew Lloyd Webber sollte nun auch eine Herausforderung für unsere Finnen sein. Fängt mit einem düsteren Orgelsolo an. Dann setzen die bekannten, wiederum sehr fetten Gitarrenriffs ein. Tarja interpretiert dieses Stück sehr überzeugend und gefühlvoll, jedoch mangelt es dem Titel nicht an Härte und auch der männliche Gesangspart kommt nicht zu kurz und kann zeigen, was wirklich in ihm steckt – und das ist gar nicht mal so ohne! Wieder wechseln sich die beiden völlig unterschiedlichen Stimmen miteinander ab und werden dem Inhalt und der Stimmung dieses wunderschönen Liedes absolut gerecht. Ein Song von einer Dynamik, wie man sie von Nightwish kennt.
Beauty Of The Beast
Dieses Werk teilt sich in drei Teile („Long Lost Love“, „One More Nicht To Live“, „Christabel“) auf und beginnt sehr klassisch. Über zehn Minuten geht es.
Der Refrain des ersten Teil hat Ohrwurmpotential und ist sehr klagend und romantisch gestaltet – dennoch ist auch von den Gitarren noch einiges zu hören. Klasse gemacht! :)
Im zweiten Teil finden wieder die klassischen Elemente tragenden Einsatz. Eine schöne, romantische, aber auch verzweifelte Atmosphäre, wie sie zu diesem Thema passt. Jedoch haben wir auch hier wieder die Stromgitarren, die dem Ganzen eine dynamische Linie geben. Natürlich hat man auch hier Doublebass und Keyboard nicht vergessen. So etwas führt die Bombast-Tradtion von Nightwish fort. Natürlich trotzdem ein geiler Titel.
Nun zum dritten Teil von „Beauty Of The Beast“: Ausschließlich von einer männlichen Stimme gesprochen und von Schlagzeug, Chor und etwas Klassik, teilweise auch leicht von Gitarren begleitet, sprechen diese Zeilen wohl für sich… Ein toller Abschluss für ein tolles Album!
Oh, sweet Christabel, share with me your poem.
For I know now, I’m a puppet on this silent stage show.
I’m but a poet who failed his best play.
A Dead Boy, who failed to write an ending
To each of his poems
Nightwish setzten bei den Aufnahmen ein echtes Orchester und sogar einen Chor ein, was vor der Veröffentlichung darauf schließen ließ, dass die Platte noch bombastischer – und vielleicht zu überfrachtet – klingt als die vorigen CDs. Doch genau das Gegenteil ist der Fall: Die klassischen Elemente fügen sich schön in die anderen ein und ergänzen sie so gut wie perfekt. Die Kompositionen sind alles in allem viel eingänglicher und schlichter, erwachsener, aber dennoch verspielt. Tarja setzt ihre Opernstimme nicht ein, sondern verwendet nur ihre „normale“ Stimme, die es aber auch tierisch in sich hat. Dadurch wirkt die ganze Sache viel natürlicher, nicht so bombastisch und aufgesetzt. Tarja bringt einen unvergleichlichen Ausdruck in ihre Gesangsparts, der das ganze Album definiert und in sich abrundet. Natürlich muss man auch die große Leistung der anderen Musiker beachten, die ohne Zweifel hervorragende Arbeit geleistet haben.
„Century Child“ führt die Tradition von „Wishmaster“ fort, ist jedoch viel erwachsener und frischer als sein Vorgängeralbum und lässt sowohl an der Qualität von Musik und Gesang, als auch an der Abwechslung kaum einen Wunsch offen. Ein riesiges Kompliment an die Finnen.
Meine Lieblingssongs dieser CD sind „Dead To The World“, „Slaying The Dreamer“ und „Ocean Soul“.
Fazit: Ein sehr schönes Album. Reinhören lohnt sich für alle Nightwishfans und alle, die es werden wollen! :) Hoffen wir, dass es nicht die letzte CD mit Tarja sein wird…