Der moderne Liedermacher beherrscht es, die männlichen Gefühls- und Gedankenwelten in all seinen tragischen, romantischen und frivol-obszönen Facetten offen zu legen. Er schafft es, dem Publikum all jenes, was es eigentlich auch selbst weiß, so vorzutrompeten, dass es weinend, glucksend oder lachend „Kenn ich!“ ausruft. Das ist vielleicht sein Geheimnis.
Umso schöner ist es, das zweite Album einer Künstlerin vorstellen zu dürfen, die den Liedermacher-Freundinnen dieses Landes eine ambivalente Gefühlsregung ermöglicht. Eine Liedermacherin – namentlich Janina – die genau das macht, was die beklampften Herren der Schöpfung alltäglich fabrizieren. Nur eben aus einer anderen Perspektive – aus der Sicht einer Frau.
Noch eines vorneweg: Janina ist keine kleine blonde Popnudel, die auch mal laut sein kann, sondern eher eine große blonde Rockerin, die auch mal leise sein kann. Bisweilen möchte man bei der Kampfblondine die Strukturen eines gewissen Wahnsinns diagnostizieren. Aber ich meine nicht die esoterische Kreischepilepsie einer gealterten Nina Hagen, sondern einen gepflegten lebendigen und ausgelebten Wahnsinn: Die bedingungslose Darstellung der eigenen Gefühlswelt – von Liebe und Schmerz bis zu Aggressionen und Wut – man schreit es hinaus, man stöhnt es hinein – eine wahre Ohrenweide.
Tracklist:
- 123
- Der Moment
- Warum reimt sich
- Allein-Sein-Allee
- My Name
- Kein Plan
- Warum schläfst du nicht bei mir ein
- Ist his what u call love
- Ein Sturm kommt auf
- My perfect lover
- KFC
- Alkoholmädchen
- König
- My love is a stranger
- Nein sagen
Im Prinzip ist die ganze Platte ein einziges Kontrastprogramm mit dem unleugbaren Schwerpunkt „Liebe“. Sensible, traurige Balladen treffen auf Sex, Drugs and Rock’n’Roll. Deutschsprachiges Lindenberg-Cover trifft auf englischsprachiges Götz Widmann-Duett. Liebeskummer trifft auf Klugscheißerabrechnung. Und so weiter und so fort.
Ein kleiner Auszug aus dem Repertoire der Scheibe, der einer Vorstellung der Themenvielfalt dienlich sein dürfte: Die Ballade „Der Moment“ wartet mit einer feinen, sehr einprägsamen Gitarrenmelodie auf, die den Hörer nötigt, es immer wieder von vorne zu hören. Vor allem auch, weil Janina dermaßen wundervoll singt, dass man sie am liebsten unentwegt in den Armen halten möchte.
Apropos „in den Armen halten“:
„Es ist kalt, er sagt er hält mich warm / 123, du stinkst unter dem Arm / und zwar so derbst, dass ich lieber erfrier / letztes Mal duschen 2004“. Wir zitieren aus dem Titelsong der Platte. Männer dürfen hier erstaunt feststellen, dass wenn Frauen mit vulgär-angehauchtem Vokabular Tacheles reden wollen, sie durchaus die passende Antwort auf jede blöde Anmache triebgeleiteter XY-Chromosomenträger finden.
Das CD-Cover, die gesamte Aufmachung und Gestaltung sind professionell gemacht und reihen sich ein in das wunderbar gemischt und gemixte Gesamtwerk. Infos, Videos und Hörproben gibt es zuhauf auf Janinas Myspace-Präsenz. Dort oder bei Götz Widmann kann man die CD, die am 15. August erscheint, auch für ca. 15 Euro bestellen.
Auch wenn ich der CD einer Liedermacherin in chauvinistischer Verklärung vorher vielleicht ein wenig skeptisch gegenüberstand – Mich hat „123“ überzeugt. Daher gebe ich 9 von 10 Punkte. Die Platte wird mit Sicherheit nicht jedermanns Sache sein, aber Janina ist rockiges Liedermaching der allerhöchsten Weise. Wer ihr nicht wenigstens eine Chance gibt, dem geht womöglich ein wahrer Geheimtipp durch die Lappen.